Etliche Baufirmen bieten die Erstellung von Häusern mit "europäischem Standard an. Keiner weiß genau, was damit gemeint ist und jeder versteht etwas anderes darunter.
So hat sich zwar der Begriff eingeprägt, aber die Vorstellungen, was sich dahinter verbirgt, sind eher schwammig.
Vor 10-15 Jahren war klar, welche Unterschiede der "europäische Standard" zu der seinerzeit vorherrschenden Bauweise aufweist. Die paraguayische Bauweise beinhaltete
- kein Putz an den Außenwänden
- keine Glaasfenster, sondern nur Fensterläden
- keine Toilette, sondern eine Grube auf dem Grundstück
- falls Toilette, nur dünne Abwasserrrohre
- Händewaschen, Abwasch und Trinkwasser am Wasserhahn im Garten
- Wellblech- oder Eternitplatten als Dacheindeckung
Inzwischen haben die meisten Paraguayer den damals porklamierten "europäischen Standard" auch für sich entdeckt und die Häuser entsprechend um- oder neu gebaut. Der heutige "europäische Standard" ist gar nicht mehr wirklich definierbar. Weil es ihn nie gegeben hat.
In den europäischen Ländern die Standards sehr unterschiedlich. In Deutschland unterscheidet er sich gravierend von dem in Italien wie auch in Frankreich, Irland, Spanien oder Griechenland. Das liegt an den klimatischen Gegebenheiten, die verschiedene Maßnahmen, die in Deutschland sinnvoll sind, in Paraguay sinnlos bis blödsinnig erscheinen lassen.
Dass man hier auf deutsche Materialien zurückgreift, magt noch angehen, wenn man zu viel Geld übrig hat, das man rausschmeißen kann. Verschiedene deutsche Konstruktionsmerkmale sind aber kontraproduktiv beim Bau. Das merkt man, wenn alles fertig ist und auf Dauer nicht funktioniert.
Beispiele:
Isolierglasfenster aus Deutschland mitzubringen ist sinnlos. Einerseits gibt es UV-stabilisierte Fenster mit REHAU-Profilen aus Brasilien, andererseits gibt es in Deutschland nicht UV-stabilisierte Kunststoffe, die bei den Fenstern verwendet werden und dafür sorgen, dass die Rahmen nach wenigen Jahren wegen der hohen UV-Strahlung einfach spröde werden und zerbröseln.
Wer versucht, sein Haus weitgehend luftdicht zu bekommen, wird seine böse Überraschung erleben: Die hohe Luftfeuchtigkeit kann nicht raus und die Häuser fangen relativ schnell an, innen zu schimmeln. Da sind Holzfenster, auch wenn sie nicht luftdicht sind und es bei Wind rein zieht, deutlich besser.
Elektromaterialien aus Deutschland mitzubringen ist ebenso sinnlos. Die Elektroverdrahtung entspricht eher dem italienischen oder spanischen System. Starre Drähte gibt es nicht und die Unterputzdosen haben andere Maße als in Deutschland. Es passt überhaupt nichts. Die Elektroverdrahtung ist viel skalierbarer als in Deutschland, fehlende Leitungen können dank der Hohlrohre später einfach nachinstalliert werden.
Solaranlagen sind in Paraguay sinnlos. Einerseits kann sich die Anschaffung selbst unter günstigsten Bedingungen niemals rentieren, andererseits besteht die gute Chance, die Solarpanele bei einem heftigen Gewitter komplett zu verlieren. Hagelkörner haben schon mal die Größe einer großen Orange mit einem Gewicht von 700-800 Gramm pro Hagelkorn. Diese durchschlagen mühelos Blechdächer, da bleibt auch von Solarpanelen nichts übrig. Darüber hinaus ist der Strom in Paraguay (übrigens 100% Ökostrom) mit 4 ct pro Kilowattstunde sehr preiswert. Wer also mit Solarpanelen aus Umweltschutzgedanken heraus liebäugelt, kann sich beruhigt zurücklehnen: Paraguays Strom kommt ausschließlich aus den Wasserkraftwerken des Landes.
Dicke Wände sind in Deutschland Vorschrift und bei den dort herrschenden klimatischen Verhältnissen durchaus sinnvoll. In Paraguay sind die Wände bei paraguayischem Baustil in der Regel 11 cm dick und dadurch in der Lage, Feuchtigkeit rauszulassen. Diese diffundiert durch die Steine und sorgt zusammen mit den Fenstern für eine Durchlüftung. Natürlich wird es im Sommer wärmer in den Räumen als mit dicken Wänden, aber da liegt die Frage nahe, ob das Sinn macht.
Nicht gerade selten sind die Temperaturunterschiede so gravierend, dass sich Kondenswasser an den Innenwänden bildet und es damit auch wieder zu Schimmelbildung kommt. Nicht gerade wenige, die den Hausbau in Paraguay nach "europäischem Standard" durchgeführt haben, sind totunglücklich mit ihrer Entscheidung. Denn sie müssen die Klimaanlagen ständig laufen lassen, um die Räume ausreichend entfeuchten zu können. Die klimatischen Verhältnisse in Paraguay erlauben vielfach nicht, nach deutschem Standard zu bauen.
Insgesamt frage ich mich, warum man versucht, die Erfahrungen der Paraguayer, die ihre Bauweise seit Jahrhunderten pflegen, einfach wegzuwischen. Ja, einige wenige europäischen Errungenschaften sind besser als in Paraguay, aber längst nicht alle.
